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Colin Crouch: Postdemokratie II

Veröffentlicht: März 9, 2014 von weizzenbrot in Gelesen&zitiert
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 „Man kann diese Art der Politik nicht undemokratisch nennen, da die Sorge der Politiker um ihr Verhältnis zu den Bürgern darin eine so große Rolle spielt. Gleichzeitig kann man dieses System nicht als wahrhaft demokratisch bezeichnen, da sich ein großer Teil der Bürger darin mit der Rolle manipulierter, passiver Teilnehmer begnügen muß, die nur gelegentlich an den Entscheidungen beteiligt werden“ (Crouch 2008: 32-33). 

Colin Crouch: Postdemokratie I

Veröffentlicht: März 9, 2014 von weizzenbrot in Gelesen&zitiert
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 „Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, daß Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur noch auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten“ (Crouch 2008: 10).

Man kennt sie leider nur zu gut: die Gruppe jener Menschen, die sich als „Sportler“ bezeichnen und dabei eine derart vegetative Zufriedenheit ausstrahlen, dass man sie unwillkürlich gießen möchte. Sie wirken grenzdebil und gleichzeitig hochmodern, richtige Trendsetter also. Zwei Typen möchte ich hier vorstellen:

Der erste Typ ist der marktförmige Selbstoptimierer. Sein Motto: Ich bin stark, dynamisch und leistungsfähig – nicht nur im Berufsleben, sondern auch privat – Working time is lifetime – 16 Stunden Arbeit und dann noch 3 Stunden ins Fitness – that’s it! Mein Steuerberater ist mein bester Freund – wir gehen auch zusammen Joggen! Ich bin verlässlich, solide und verantwortungsvoll, mein Marktwert macht nicht nur meinen Arbeitgeber geil. Sportschau und Tatort, Tagesschau auch gerne – schließlich will man ja nicht verdummen. Und Sonntags einen Film mit Vin Diesel oder Veronica Ferres.

Das Grenzdebile ist hier domestiziert und nützlich – „Fabrikware der Natur“ – ausgestattet mit einer Aura der vegetativen Zufriedenheit, der gepflegten Langeweile und des unbewussten Stumpfsinns – mit der Lifestylberatung direkt vom Volkswirt. Sport bedeutet hier nicht viel mehr als intelligentes „Unzufriedenheitsmangement“. So wird verhindert, dass sich unproduktive Gefühle oder Gedanken breit machen. Selbsterkenntnis wäre genauso störend wie die Lücke im Lebenslauf.

Diese Form des Grenzdebilen fordert nicht viel vom Leben und wird auch selten enttäuscht. Es sei denn, die Kontingenzen des Marktes schlagen zu, aber dann „ist es halt so, der Markt wollte es, man kann sein Schicksal nicht zwingen…usw.“. Die progressiven Konservativen, vom System erfunden, um Stabilität zu garantieren.

Der zweite Typus ist dem ersten scheinbar entgegengesetzt. Es sind die „nicht-zu-viel-Menschen“ – die, die ihre Ethik der goldenen Mitte unter dem Kissen versteckt haben, um besser zu schlafen. Sie nehmen sich gerne mal ein paar Minuten, um über das Schwere in der Welt nachzudenken. Dabei machen sie ein Gesicht, als hätten sie es soeben geschluckt – ein unangenehmes Schauspiel. Alles ist verkrampft, gedrückt, peinlich – und eigentlich nur ein Vorspiel, ein Aufwärmen, um endlich über das Alltägliche palavern zu können. Denken, das wissen sie, ist ein Laster, dem man sich nicht hingeben sollte. „Man kann ja alles irgendwie begründen“ lautet ihr Credo. Und wenn man alles irgendwie begründen kann, dann kann man genauso gut nichts begründen. Warum sollte man sich also auf den Weg machen? „Alles vergeblich“ sagen sie sich und schauen mitleidig auf den, der es versucht.

Dementsprechend sind sie kapitalismuskritisch – aber nicht zu sehr – irgendwo muss man ja auf seine Kosten kommen. Sie retten die Welt mit Bio-Obst und Ökostrom – mehr kann man auch nicht verlangen. Sie sind politisch ohne das Politische ernst zu nehmen. Sie urteilen „objektiv“, indem sie alle Subjekte – sich eingeschlossen – aus der Gleichung nehmen. Damit bleibt das Urteil allgemein, unverbindlich und nichtssagend. Ihre Bildung besteht aus intellektuellen Sprachspielen, die sie erstaunlich gut beherrschen – möchte jemand aber ernsthaft spielen, ist es ein Anschlag auf den guten Geschmack.

Es sind die Menschen der kontrollierten Halbheit, der kontrollierten und gut verwalteten Langeweile. Sie haben sogar eine Ahnung davon – aber natürlich auch ein Gegenmittel: den exzessiven Sport. Denn um alles halb zu machen, muss man eines wenigstens ganz machen – das ist ihre Weisheit. Unterm Strich bleibt eine vegetative Zufriedenheit, kaum bedroht durch Momente der Selbsterkenntnis. Ruhig und friedlich grasen sie, wie Kühe auf der Wiese, die sich nur ab und an schütteln, um die Fliegen los zu werden.

Beide Typen liegen im Trend, beide unterscheiden sich, gehören aber doch zusammen. Der erste Typ begegnet einem meist direkt und ungeschönt. Er schämt sich seiner nicht – man erlebt das Grenzdebile hier in seiner vollen Pracht. Eben darum kann man mit ihm frei umgehen, d.h. bei Bedarf vermeiden oder aufsuchen.

Der zweite Typ ist ein wahres Schaf im Wolfspelz: Dem Anschein nach frei, unabhängig und interessant – aus der Nähe betrachtet aber nur ein schmatzendes und blökendes Schaf, gerade gut, um sich etwas Wolle herunter zu schneiden.

Glutamat ist böse!

Veröffentlicht: März 3, 2014 von weizzenbrot in Gesellschaft
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Am 1.3. 2014 gab es in Stuttgart scheinbar nur zwei Möglichkeiten, sich politisch in Stellung zu bringen: Entweder gegen den Bildungsplan – dann befand man sich auf dem Schlossplatz – oder für den Bildungsplan – dann ging man auf den Marktplatz.

Eine dritte Möglichkeit wurde von einer kleinen Gruppe getestet: Gegen die Bildungsplangegner aber trotzdem auf dem Schlossplatz (auf derselben Seite der Absperrung)!

Das Ergebnis ist hier zu sehen:

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Wenn Idioten träumen…

Veröffentlicht: Februar 25, 2014 von weizzenbrot in Filmkritik
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und aus irgendwelchen Gründen daraus einen Film machen, dann wird Vin Diesel darin garantiert die Hauptrolle spielen. Er hat sich darauf spezialisiert. Der Zuschauer taucht ein in eine wunderbar reduzierte Welt, in der es genau drei Formen der Interaktion gibt: Angreifen, Anpöbeln und Penetrieren. Man darf dabei die utopische Dimension dieses Gedankenspiels nicht vergessen: Was wäre, wenn die Welt wirklich so einfach wäre? Weltanschauungen und Religionen sind Systeme der Komplexitätsreduktion, Vin Diesel auch!

In Zeiten, in denen eine schlaffe Avantgarde nur noch das Scheitern in einer unübersichtlich gewordenen Welt darstellen kann, schafft Diesel den Gegenpol. Sein Evangelium der Armen fragt wieder nach dem, was der Zuschauer braucht. Mit etwas Pathos könnte man sagen: Er ist der Luther des Films, der seine 955 Thesen eigenhändig und mit einem Schweißbrenner in den Kinoleinwänden verewigt. Salve!

Lebe wohl

Veröffentlicht: Februar 24, 2014 von weizzenbrot in Eigene Texte
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Ja, geh du schon mal vor“ hatte ich gedankenverloren geantwortet. Ehe ich meinen Blick wieder auf den Weg richten konnte, war sie verschwunden. Weit ist sie nicht gekommen, also ging ich ihr nach. Der Weg wurde schmaler, bald war es ein kaum noch zu sehender Pfad, der sich in einer ausgedehnten Ebene verlor. Einzig ein Stein hier und da ließ mich hoffen, dass es noch nicht zu Ende war. Es mussten Wegmarkierungen sein, also ging ich weiter.

Bald wurde es sandig, die Sonne brannte, vor mir lag nur noch Wüste. Was kann es dort geben außer den langsamen Tod? Vielleicht wusste sie es nicht besser und ist blind den Steinen gefolgt. Oder sie war eine Getriebene, die suchte, was es nur hier gab. Vielleicht irrte sie ziellos und in weiten Kreisen durch den Sand, sonnenverbrannt und halb wahnsinnig. Vielleicht kannte sie auch Schleichwege und verborgene Quellen. Dann würde sie im kühlen Schatten rasten, erschöpft aber ihres Weges gewiss.

Wie es auch sein mochte, ich kehrte um.

Gut, Pornographisches und Spielfilm gehen zusammen. Dabei stellt Lars von Trier nicht den neuen Porno für Intellektuelle vor – im Gegenteil – von einem Porno ist er weiter entfernt als jede konventionelle Hollywood-Komödie. Viel eher müsste man von einem Anti-Porno mit pornographischen Mitteln sprechen. Die Erwartungshaltung des Voyeurs wird aufgegriffen, die erzählerischen Wege des Films sind aber lang und unbarmherzig, der Voyeur wird kaum auf seine Kosten kommen. Was bleibt? Der nachhaltige Eindruck, dass Spielfilm und Pornographisches sich nicht (mehr) ausschließen, dass der Film also ein neues Ausdrucksmittel gefunden hat.

Seligman ist eine eigenartige Figur. Auf der einen Seite gibt er den weltabgewandten Freidenker, immer bereit, über die bescheidenen Ausdrucksmöglichkeiten der Protagonistin hinwegzuhelfen. Wie schön, dass uns jemand über Bach und die Kunst des Angelns aufklärt. Nicht nur Joe lernt da was, auch das Wissens des Zuschauers wird angereichert bzw. aufgefrischt. Sehr lehrreich – ob das vielleicht sogar für die Schule taugt?

Auf der anderen Seite ist da der geduldige und einfühlsame Seligman. Fast könnte man ihn in der Rolle des Therapeuten sehen. Er wertet nicht, sondern möchte verstehen. Aber wenn man ihn schon in dieser Rolle sieht, dann stellt sich dringend eine Frage: Warum glaubt er der Erzählerin? Warum gibt er ihr so viel Raum? Warum unterfüttert er ihre Geschichte mit lehrreichen Analogien anstatt sie zu hinterfragen? Schließlich weiß der Therapeut, dass die Erzählerin mit ihrer Geschichte genau soviel verdeckt, wie sie offen legt. Gerade um zu verstehen, muss er das Erzählte ernst nehmen, aber glauben darf er nicht.

Und an genau dieser Stelle wird es nervig. Den Zuschauer und Seligman verbindet ein Erkenntnisinteresse. Stellvertretend für den Zuschauer stellt er Fragen, unterbricht oder merkt dies oder jenes an. Nur kommt er einem dabei vor, wie eine Energiesparlampe der älteren Generation: Wenn man sie einschaltet, scheint der Raum noch dunkler zu werden. Seine Exkurse über das Angeln oder die Musik machen nichts klarer. Der Zuschauer wünscht sich Fragen, die in die Tiefe gehen und die Selbstverständlichkeiten der Erzählung aufbrechen; er bekommt gelehrsame Analogien, die das ohnehin schon Oberflächliche nur noch noch rätselhafter erscheinen lassen. Stellenweise tauchen Fragen oder Einschübe auf, die in die gewünschte Richtung gehen. Doch Joe wehrt diese erfolgreich ab, sie bleibt der Souverän ihrer Geschichte.

Das erklärte Ziel der Erzählung ist es, die Person der Erzählerin und ihre Erlebnisse verständlich zu machen. Zu keinem Zeitpunkt scheint man diesem Ziel näher zu kommen. Eigentlich wird permanent die Absurdität dieser Zielsetzung demonstriert. Grund hierfür ist eine Prämisse, die von beiden Gesprächsteilnehmern nicht infrage gestellt wird: Die Souveränität der Erzählerin über den Stoff ihrer Erzählung (also über sich und das eigene Leben). Vergegenwärtigt man sich die Situation Joes in der ersten Szene – sie liegt blutend in einer Gasse – so zeigen allein schon diese Umstände, wie es um die Souveränität bestellt ist.

Kurz gesagt: Joe will sich erklären, weil sie davon ausgeht, sich und ihre Geschichte zu verstehen. Das Gegenteil einzugestehen hätte am Anfang der Erzählung stehen müssen.

Lange Schatten

Veröffentlicht: Dezember 20, 2013 von weizzenbrot in Eigene Texte

Das Ich räumt auf. Gut, man muss sich trennen – aber warum trauern? Es muss weg, sagt es sich und leert mit einer großen Geste den Tisch. Alles, was hier stand, hatte einmal seinen rechtmäßigen Platz. Es wurde geliebt und es liebte. Aber Liebe vergeht und Recht kann gebrochen werden. Warum etwas festhalten, das man besser werfen sollte?  – Euphorie des Schluss-Machens und des Anfangens, Euphorie des Sich-Behauptens –

Doch aus der Masse des Verworfenen meldet sich eine mahnende Stimme: „Gut – aber manches muss gesagt, getan oder gedacht werden. Sonst wachsen in der Dunkelheit Kreaturen, die eines Tages furchtbare Rache nehmen.“

Dem Ich kommen diese Worte seltsam vor. Da möchte sich wohl etwas nicht einfach so verabschieden lassen. Und mit bedeutungslosem Raunen versucht es sich zu retten. Wörter, die eine große Weisheit vortäuschen. Schaut man jedoch genauer hin, so bleibt nichts. Unkenrufe aus dem Sumpfland – eine Kröte, deren Weisheiten stinken und die das Neue nicht wahrhaben möchte. Also weg damit!

Das Ich wiederholt die Geste des großen Abräumens. Es ist eine königliche Geste, niemand ist ihr gewachsen. Im Gegenteil, sie scheint einen Thron zu begründen, auf dem das Ich gerne Platz nimmt. Ein Thron, der in den Himmel ragt, der nur die Sonne über sich hat.

Doch gerade ein Thron dieser Art wirft Schatten. Und der Schatten lockt Kreaturen an, die nur in seiner Dunkelheit bestehen können. Hässliche, vernarbte Gesichter, die Tags über ihre Messer wetzen, um dem Ich des Nachts das Fleisch vom Körper zu schneiden. Scheue Kreaturen, die zuerst die Haut von den Fingern nagen, um keine Gegenwehr erdulden zu müssen. Faulige Münder, die die langsame Arbeit des Messers nicht abwarten können und daher gierig in das noch blutende Fleisch beißen.

Die mahnende Stimme hatte Recht behalten. Doch genauso das Ich – denn die Stimme sprach mit boshafter Absicht. Sie wollte missverstanden werden. Sie sagte das offensichtlich Wahre aber kleidete es in das Gewand einer Lüge. Die Wahrheit selbst erschien nur als eine weitere List der alten Ordnung, als ein letztes Aufbäumen, dem man mit der großen Geste des Abräumens begegnen muss. Die Stimme äußerte das Wahre und brachte es so zum Verschwinden. Eine letzte Rache.

Schlüpfrig

Veröffentlicht: Oktober 19, 2013 von weizzenbrot in Befindlichkeit
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Dem Wort ist nicht zu trauen, es betreibt eine schlüpfrige Expansion. Einmal freigelassen, führt es zu «anschlüpfern» und steigert sich zu «mit Schlüpfern werfen». Man lasse es besser nicht soweit kommen.

Überbau eines Rauchers

Der überzeugte Nichtraucher kann seinen Gegenpart nicht leiden, weil dieser für einen kurzen Genuss Gesundheit und Lebenszeit opfert. Mithin ein widersinniger Hedonismus – einer, der seine Ratio für ein widerliches, unbestimmtes und kurzweiliges „Anderes“ opfert. Einer der potentiell maßlos ist, dem man in seinen Grenzziehungen einfach nicht vertrauen kann.

Für den Raucher ist es mal ein geselliges Moment, mal ein Moment der absoluten Einsamkeit mit einer Prise Selbstgefälligkeit darin – oft genug aber eine hässliche Zeiteinheit der banalen Suchtbefriedigung.