Mit ‘Regierung’ getaggte Beiträge

Colin Crouch: Postdemokratie I

Veröffentlicht: März 9, 2014 von weizzenbrot in Gelesen&zitiert
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 „Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, daß Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur noch auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten“ (Crouch 2008: 10).

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Die allererste Regung nach dem Anschauen des Films „Red State“ (2011) von Kevin Smith war das dreimalige Flüstern eines „Heiligen Bimbams!“.

Ich muss sagen, dass ich anfangs eher unschlüssig darüber war, was ich von diesem Gemetzel (bei dem kaum Gefangene gemacht wurden) eigentlich halten soll. Bis sich in mir langsam und dezent die leise Ahnung formte, dass diese Unschlüssigkeit vielleicht gar nicht von meiner Unfähigkeit kommt, diesen Film in einen gewissen vernünftigen Rahmen einzuordnen, sondern eher von der Unausgewogenheit, die der Film selbst in seinem Plot entfaltet.

Der Plot fängt als silentbob-mäßiger Teenager-Film an:
Auf dem Weg zur Schule (in die der heranwachsende junge Mann ganz uncool von seiner Mutter chauffiert wird) erleben wir eine sehr unschöne Begebenheit. Christliche Extremisten demonstrieren bei der Beerdigung eines (schwulen) jungen Mannes und wünschen dem Verstorbenen quasi als „Kondolenz“ für die Hinterbliebenen eine angenehme Fahrt in die Hölle. In der Schule dann wird kurz über die verfassungsmäßig garantierten Freiheit der Meinungsäußerung gesprochen (eher angeschnitten als angesprochen) und nicht weiter thematisiert, weil die Jungs anderes im Sinn haben, nämlich ein sexuelles Abenteuer mit einer Unbekannten aus dem Internet.
Die Jungs schnappen sich das Auto von Papi und düsen los, streifen das Auto vom Sheriff, der sich von einem Typen sexuell bearbeiten lässt, kommen an einem Wohnwagen an, eine ältere Frau steigt aus, werden von ihr zu einem Bier eingeladen, trinken und kippen um (Betäubungsmittel war im Bier, oh Schreck).

Und nun?

Der Plot wandelt sich und entwickelt Splatter- und Horrorfilmelemente. Im Vordergrund steht jetzt die christlich-fundamentalistische Sekte mit ihrem charismatischen „Daddy“ Pastor Abin Cooper (der ziemlich beeindruckend von dem Schauspieler Michael Parks verkörpert wird).
Die Darstellung dieser lächelnden Gläubigen in ihrer Kapelle wirkt sehr glaubhaft und ist von Anfang an sehr bedrückend und unheimlich (über den religiösen Wahn müsste man hier aber eine eigene Abhandlung beginnen). Der Pastor hält eine Predigt und beschwört den (seit Jesus überholten) guten alten Geist des Alten Testaments herauf, der schon damals kurzen Prozess mit allen unzüchtigen Abweichlern gemacht hat. Angefeuert von diesem Geist wird auch gleich ein junger Mann (ordentlich in Frischhaltefolie eingewickelt) wegen seiner Homosexualität hingerichtet.
Nun ja, die drei Teenager stecken nun in der Patsche, da hilft auch nicht die Beteuerung, dass sie nicht homosexuell sind. Währenddessen trudelt der Deputy auf der Suche nach dem Fluchtwagen bei der Sekte ein und wird kurzerhand erschossen, als er Schüsse aus dem Haus hört (einer der drei Jugendlichen hat sich befreien können und einen der Sektierer erschossen. Aber leider starb auch er dabei, weil ihm der Sektierer in diesem Zusammenhang ein „Dito“ mit der Pistole entgegnet).

(Ich merke schon, wie es mich zu nerven anfängt, diese Geschichte nacherzählen zu müssen. Der Leser mag entschuldigen. Ich gebe mir alle Mühe!)

Zuvor konnte der Deputy aber den Sheriff informieren, der seinerseits ein Sondereinsatzkommando zu Hilfe ruft.

Nun nimmt der Plot eine neue Wendung mit einem John Goodman (der sichtlich bemüht ist mit seiner Figur nicht in eine unfreiwillige Komik abzudriften, vor allem dann, wenn er schwerbewaffnet fast schon wie eine Gazelle durch den Kugelhagel tänzelt). John Goodman stellt den ATF Special Agent Joseph Keenan dar, der die staatliche Seite der ganzen unschönen Geschichte repräsentiert. Das Sondereinsatzkommando umstellt das Anwesen (99% der Truppen vorne, 1% am Hinterausgang).

Die fanatische christliche Familie gesteht sich nun ihre Ausweglosigkeit ein und ergibt sich. Sie hat es endlich eingesehen, dass es sehr unvernünftig war, was sie angestellt hatten, taten Buße und lebten glücklich und zufrieden bis zum jüngsten Gericht…

Natürlich nicht!

Eine wilde Schießerei entbrennt (das 1 % der Truppen am Hinterausgang, eigentlich ist es nur ein Trupperich, stirbt. Auf seinem Grabstein könnte passenderweise stehen: Ihm fehlte die Rückendeckung).
Ausversehen wird der nächste Teenager auf der Flucht Richtung Rettung von der Rettung erschossen, nämlich vom Sheriff höchstpersönlich (zumindest entschuldigt er sich dafür beim Einsatzleiter).
Mit viel Peng Peng um nichts, vergeht die Zeit relativ kurzweilig, bis der letzte der drei jungen Männer zusammen mit einer jungen Frau, die ihre kleinen Geschwister retten wollte, in die ewigen Jagdgründe geschickt wird.

Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, dass ATF Special Agent Joseph Keenan von oben (nicht von Gott, sondern von einem höherrangigen Beamten) den Befehl bekommen hatte, keine Gefangenen zu machen aus PR-technischen Gründen (Überlebende könnten ja berichten, wie unfreundlich sie von den staatlichen Behörden rumgeschubst werden, deswegen lieber sofort erschießen!).
Plötzlich ertönen in diesem Gemetzel Fanfarenklänge vom Himmel her und die ultraextremchristliche Family (oder was von ihr übrig ist) tanzen entzückt und frohlockend aus dem Gebäude heraus, in der Erwartung des Jüngsten Gerichtes (das ja bekanntlich mit Posaunenklängen eingeleitet wird).

Ende!

Nein noch nicht ganz.

Eigentlich war das ursprüngliche Ende des Films laut Kevin Smith dieses:

Alle „platzen“ vor Freude (vor allem die Brustkörbe) außer Keenan, der einen strahlenden Engel in prächtiger Rüstung vom Himmel kommen sieht und den Anfang des Jüngsten Gerichtes live miterleben darf.
(Gut! Dann hätte ich vielleicht kurz gelacht, jedoch sofort wieder die ernste Miene des Kritikers angenommen)

Das Ende des gezeigten Films war aber dieses:

Keenan muss sich vor einem Untersuchungsausschuss verantworten und gibt an, dass er alle exekutiert hat und die himmlischen Posaunen ein Gag von benachbarten Kiffern war (wegen eines Nachbarschaftsstreits um ein Komposthaufen), bewerkstelligt mit Lautsprecher. Das Protokoll wird eingestellt und es stellt sich heraus, dass alle gefangen und ohne der Justiz ausgeliefert worden zu sein dank dem „Patriot act“ einfach für immer weggesperrt worden sind. Die letzte Einstellung des Filmes zeigt dann auch den Pastor Cooper, der in seiner Gefängniszelle vor sich hin singt, aber von der Person in der Nachbarzelle darauf hingewiesen wird, dass es einfach scheiße klingt und er die Klappe halten soll.

Gut!
Nun ist aber wirklich Ende!

Einige abschließende Bemerkungen:
Ich frage mich nach Phasen intensivsten Denkens immer noch, welche Botschaft dieser Film eigentlich transportieren will?

Ist es die Kritik an der Regierung im Umgang mit Fundamentalisten?
Ist es eine Kritik am Fundamentalismus christlicher Extremisten?
Ist es vielleicht gar eine Kritik am Extremismus extremer Extremisten?
Oder ist es eine Kritik am Aufstellen nur einer Person am Hinterausgang (das ja, wie wir gesehen haben, nur schiefgehen kann)?

Dieser Film weiß es wahrscheinlich selbst nicht.
Klar, er ist nicht langweilig und handwerklich einigermaßen umgesetzt, doch mir persönlich fehlt der Tiefgang.

Falls es eine Botschaft gibt (eine von den obigen), dann scheint mir diese nicht ernsthaft genug umgesetzt worden zu sein, da sie im fast schon lächerlichen Geballere leider durch eine umherirrende Kugel getroffen wurde und auf der Strecke blieb.

Fundamentalismus jeglicher Couleur ist gefährlich und letztendlich menschenverachtend, aber das muss mir dieser Film nicht sagen, dass wusste ich damals als noch relativ junger Mensch spätestens seit der fürchterlichen Waco-Belagerung 1993.

Watch or not to watch?
Wer Splatter im Schafspelz der Sozialkritik will, soll’s anschauen.
Allen andern kann ich diesen Film nicht empfehlen.