Mit ‘Willen’ getaggte Beiträge

 

Autonomie, d. i. die Tauglichkeit der Maxime eines jeden guten Willens, sich selbst zum allgemeinen Gesetze zu machen, ist selbst das alleinige Gesetz, das sich der Wille eines jeden vernünftigen Wesens selbst auferlegt.

(Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.  Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: 1900ff, 444)

Salvador Dali A. Public Domain

Neulich sprach ich mit einem guten Freund über das Phänomen der Träume und wie sie wohl am besten zu deuten wären. Jeder Traum, so kamen wir überein, reizt den Drang zur Interpretation. So bot ich ihm an, seinen Traum gut behütet mit nach Hause zu nehmen und genauer zu betrachten und er gab mir die Erlaubnis, die Analyse hier im Blog anonymisiert zu präsentieren.

Erste Frage bei der Umsetzung war:
wie sollte ich eigentlich vorgehen?
Schematisch oder doch eher rhizomatisch?

Als einer, der keinen blassen Schimmer hat (und da Schimmer ja immer eine Vorform von Glanz sein kann, der ja bekanntlich in großen Dosen blendet) beschloss ich letztere Methode anzuwenden.
Also die Rhizomatik: Kunst der (schlagwortartig-rhythmischen) Verknüpfung heterogener Elemente ohne zentrale Leitlinie.
Grundsätzlich gilt aber, dass der Traum dem Träumer gehört und mit diesem Traum daher sorgsam umzugehen ist.

Kommen wir zum besagten Traum.

Der Träumer kehrt mit seiner Frau in einer Jugendherberge ein. In einem großen Raum, gefüllt mit Stockbetten stellt sich heraus, dass nur noch ein Schlafplatz frei ist. Dieser Schlafplatz ist einer in einem Dreierbett, der aber schon von zwei Männern belegt ist. Der Träumer fragt den in der Mitte liegenden Mann, ob er seinen Schlafplatz für ihn und seine Frau zur Verfügung stellen würde. Freundlich (oder wie der Freund erzählte „schmierig“, und offensichtlich auch einer, der zu unlauteren Absichten neigt) verneint dieser die Frage, so dass der Träumer seiner Frau diesen letzten Schlafplatz anbietet und beschließt selber neben dem Bett auf dem Boden liegend (und das was im Bett vorgeht nicht mehr sehend) zu nächtigen.

Nun findet ein Perspektivwechsel statt.

Die  Frau meines Träumers ist nun nicht mehr anwesend, er selbst nur noch als nichtteilnehmender Beobachter.
Die beiden Männer sitzen an einem weißen Tisch und ein dritter Mann betritt den Raum. Er hat eine Pistole in der Hand. Fast schon beiläufig geht er zum Tisch und schießt beiden in den Kopf.
Blut spritzt auf den weißen Tisch.

Nun ist Umwandlungsarbeit zu leisten, wobei ich nicht vergessen möchte zu erwähnen, dass mir der Träumer einen Tipp mit auf den Weg gab. Er erwiderte mir auf meine Äußerung, einen Traum vielleicht doch wie einen literarischen Text oder einen Film zu rezipieren, dass es angebracht wäre in Betracht zu ziehen, dass vielleicht der Traum es ist, der unseren Wachzustand rezipiert und damit selbst schon eine Art Vorverständnis über unsere Angelegenheiten hat.
Suchen wir also nach den Intensitäten, die sich an bestimmten Stellen zu „Bedeutungen“ verdichten und woran sie anknüpfen oder angeknüpft sind.

Fangen wir an mit der Jugendherberge.
Die Jugendherberge oder „Herberge“ im generellen ist ein Ort der Einkehr, aber keine Heimkehr. Damit aber bleibt sie Sehnsucht nach Heimkehr und Ruhe. Heimkehren bedeutet „bei sich Ankommen“. Dies ist bei der Herberge nicht der Fall, sondern das Gefühl äußert sich in Sehnsucht. Treibt man diese Intensität zu ihrem Kulminationspunkt „Bedeutung“ hin, könnte sie auch auf eine psychische Einsamkeit hinweisen.
In dieser Sehnsucht nach „Ankommen bei sich“ ist der Träumer nun mit seiner Ehefrau unterwegs. Die „Ehefrau“ ist hier aber von der Bedeutung der „Frau“ zu unterscheiden und nur im Kontext ihrer Anknüpfungspunkte zu verstehen. Die „Ehefrau“ weist im Gegensatz zur generellen Intensität der „Frau“ auf Verbundenheit hin. In diesem Fall, einer Verbundenheit des Gegensatzes (die Zahl „2“, Mann/Frau). Die Bedeutung „Frau“ weist im weiten Sinne auf die Empfänglichkeit hin.
Nehmen wir nun mal an, die „Frau“ in diesem Traum ist nun wirklich die Empfänglichkeit, so geht der Träumer nun mit ihr in diese „Herberge“. Dabei zeigt sich dem Träumer ein großer Raum mit vielen Stockbetten. „Großer Raum“ als „Seelenraum“ mit ihren verdichteten Bedeutungsintensitäten der „Betten“. „Bett“ scheint hier auf das „Gebettet sein“ der Seele selbst hinzuweisen oder die Grundlagen des Seelenlebens. Die Betten scheinen sauber zu sein, nur sind sie fast alle belegt. Außer einem Platz, der aber mit zwei Männern geteilt werden müsste.
Hier haben wir nun diese zwei Männer.
Was hier auffällt, ist zum einen die Anzahl der Schlafplätze in diesem einen Bett und die Anzahl der darin liegenden Personen und zum anderen das Geschlecht der Beteiligten: zwei Männer eben.
Die Zahl „2“ weist auf einen Gegensatz hin, der „Mann“ auf den Willen oder überspitzt gesagt „Willen zur Macht“ (zudem ist der „Mann“ als Traumsymbol meistens auf Streit aus oder verweist auf eine Problematik).
Verbindet man die Zahl „2“ mit dem „Mann“ und dem „Bett“, so scheint mir das auf eine grundsätzliche Blockade des Willens hinzuweisen (Zahl „2“ = Gegensatz; „Mann“ = Wille; zwei Männer = Gegensatz im Willen oder innerer Gegensatz des Willens).
Der Träumer redet nun mit einem der Männer (bezeichnenderweise mit dem „Rechten“) und fragt nach den Schlafplätzen. Der erwidert ihm „schmierig“, dass er seinen Platz nicht zur Verfügung stellen wird. Hier taucht nun die „Unwahrhaftigkeit“ auf.
Die „Unwahrhaftigkeit“ oder „Lüge“ verweist auf Verdrängung. Was wird hier verdrängt, die Blockade des Willens?
So passiert es, dass der Träumer (ein Gentleman wie er ist) diesen letzten „Seelenruheplatz“ der Ehefrau überlässt und sich selbst auf den Boden legt. Hier gilt es weitere Bedeutungsintensitäten zu benennen und sie miteinander verknüpfen zu lassen.
Die „Ehefrau“ (Verbundenheit, Empfänglichkeit) bettet sich neben zwei Männern (verdrängte Blockade des Willens), somit ergibt sich eine Vereinigung der „2“ zu einer „3“ oder besser ausgedrückt: es ergibt sich aus dem Gegensatz sozusagen dialektisch etwas Neues.
Das Neue, das in diesem Fall ins Auge sticht, ist die „Frau“ (mit der der Träumer nun leider weniger verbunden ist, daher ist der Schwerpunkt nicht mehr auf „Ehefrau“). Ganz einfach deswegen, weil zwischen Dreien immer die/der Eine in den Vordergrund tritt (warum auch immer, vielleicht weil wir einen Faible für „Einheiten“ haben).
Somit haben wir hier nun den Fall für eine verdrängte Blockade des Willens, die auf Empfänglichkeit verweist.
Verstärkt wird dieser Eindruck auch durch die Positionierung der zwei Männer und der Ehefrau und durch den Perspektivwechsel, der stattfindet, wenn sich der Träumer auf den Boden neben das Bett legt.
Ich gehe davon aus, dass der Träumer zuerst vor diesem Bett stand, als er den Mann nach dem Platz fragte (das heißt, die Männer hatten die Position „links“). Da sich die Ehefrau am Rand des Bettes zum Schlafen gelegt hat, musste sie in diesem Augenblick die Position „rechts“ gehabt haben. Nun ergeben die Traumverdichtungen „links“ und „rechts“ die Bedeutungen Irrational, Unbewusstheit, (vielleicht auch Destruktion, die wiederum auf die Blockade hinweist) und Aktivität, Sachlichkeit, Logik und damit Bestimmtheit.
Bemerkenswert ist nun, dass die 2 Männer die linke Position inne hatten, was die Willensseite durch ihren inneren Gegensatz (oder Blockade) in den Bereich des Verdrängten oder Irrationalen anordnet.
Als der Träumer auf dem Boden liegt, ändert sich ihre Position (vom Träumer gesehen, sofern er auf dem Rücken lag) auf „rechts“ und verschiebt damit den inneren Gegensatz des Willens in den Bereich der Bewusstheit, Sachlichkeit.
Nur vom „Boden“ (Boden der eigenen Existenz, Realität) aus, auf dem der Träumer liegt, ist dieses nicht mehr zu sehen (wieder der Hinweis auf die Verdrängung).
Was im Bett passiert, bleibt im Dunkeln (und ist wahrscheinlich auch nicht weiter wichtig).

Nun passiert ein Wechsel der „Realitätsebene“.

Die Ehefrau ist nicht mehr da. Der Träumer nicht mehr Teilnehmer, sondern nur noch beobachtend distanziert anwesend. Dieser Wechsel könnte auf eine Art von „Sollzustand“ oder „Lösungsansatz“ hinweisen (positiv betrachtet) oder einfach nur auf ein Fließen und Strömen, Anknüpfen und Zerschneiden innerer Seelenintensität in einer Art disjunktiver Synthese.
Was passiert, wenn wir Intensitäten rhizomatisch sehen und nicht einfach nur „repräsentieren“? Wir schauen erst mal zu, was passiert und wo sich was bewegt.
Wir haben die Zweiheit der Männer, die am weißen Tisch sitzen.
Der weiße Tisch enthält zwei Elemente: „weiß“ und „Tisch“. Ersteres ist bekanntlich Symbol für Reinheit oder Läuterung, letzteres das der „Aktivität in der Realität oder Arbeit“.
Nun taucht eine dritte Person auf.
Hier haben wir nun wieder die dialektische Figur „aus 2 wird ein besseres 3.“. Was macht das „bessere 3.“, das in dieser Situation in den Vordergrund des Geschehens tritt? Sie hat eine Pistole in der Hand. Die Pistole steht für eine Spannung, die zugleich ihre eigene Lösung oder Entspannung ist; also Durchsetzungsfähigkeit.
Die beiden werden durch Kopfschüsse ermordet.

Was bedeutet das?

„Kopf“ ist das Symbol für Intellekt. Wenn nun die spannungsgeladene Durchsetzungsfähigkeit das Intellekt erschießt, wie könnte man das im Klima eines blockierten Willens wohl nennen?
Prozess einer Entladung verdrängter überrationalisierter Selbstbezüge, die latent autoaggressive Züge tragen?
Das Blut auf dem weißen Tisch ist wohl anvisiertes Ziel: reine Vitalität und Leidenschaft… und der Wunsch nach Abschluss („Mord“) und entspanntem Neuanfangs („Tod“) und das sozusagen beiläufig…

Es geht um die Auflösung der Blockade des Willens (vielleicht entstanden durch die Überrationalisierung der Lebensvollzüge?). Aber wie will man diese Auflösung mit einem blockierten Willen leisten?
Mit der Abtötung der Überrationalisierung durch die Überlagerung mit dem Schmerz, weil er einem näher ist als Ratio?

Ist das der Schrei nach Voluptas,
nach Heimkehr?

Zeit und Wille

Veröffentlicht: Februar 19, 2013 von kynischetonne in Eigene Texte, Literatur
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Was zu sagen hab ich nicht,

nur schauen und hören.

Dort ist das, was Sprache malt.

Was es ist, kann man nicht erklären,

nur malen

in Lauten und

in Bildern.

Die Farbe ist die Zeit, der Pinselstrich ist der Wille.

Der Ton ist die Zeit, die Tonart ist der Wille.

Der Wille entspringt der Zeit.

Der Wille hat viele Zwillingsgeschwister.

Das Wollen, die Lust am Wollen, das Nicht-Wollen.

Doch ist der Wille verschieden von diesen,

denn er entspringt der Zeit,

unmittelbar,

wenn er die Zeit nicht schon selbst ist.

Denn die Zeit strebt, seit ihrem Ursprung

immer vorwärts.

Ihr Antrieb ist entweder ein Ziel oder ihr Antrieb kommt aus ihr selbst.

Ohne Zeit keine Welt, wie wir sie kennen.

Somit ist alles nur aus der Zeit,

mit dem aus ihr entspringenden Willen zu sehen.

Wille strebt aus sich heraus.

Zeit strebt aus sich heraus.

Wenn man der Zeit eine Eigenschaft zuschreibt, so ist es das Streben ohne zu Wollen.

Ein Streben, aus dem auch der Wille entspringt, der uns eigen ist.

Wille andererseits ist ohne Zeit nicht denkbar, denn rein gar nichts ist ohne Zeit denkbar.

Der erste Funke Wille stößt die Zeit vielleicht an.

Vielleicht ist Zeit der bis jetzt und immer weiter gedehnte erste Funken Wille, der das Wollen noch nicht kennt.

Was Zeit ist, kann ich nicht erklären.

Aber ich könnte sie dir malen.

Soll ich?

Die Zeit ist ein ei mit vorn einem Zeh und hinten trinkt es Tee.