Denken oder Gott?

Veröffentlicht: Mai 1, 2014 von kynischetonne in Philosophie
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Ei und Henne mal anders:
Was war zuerst?
Gott oder das Denken?

Nietzsches Dialektik

Veröffentlicht: März 25, 2014 von kynischetonne in Gelesen&zitiert
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Die Vier Apostel, rechter Teil, Szene: Die Heiligen Markus und Paulus. Albrecht Dürer. Public Domain.

Die Vier Apostel, rechter Teil, Szene: Die Heiligen Markus und Paulus. Albrecht Dürer. Public Domain.

Bei Nietzsche hat man den großen Gegensatz zwischen Christus und Paulus: Christus, der sanftmütigste, der liebevollste aller Dekadents, eine Art Buddha, der uns von der Priesterherrschaft und von jeder Vorstellung von Verfehlung, Strafe, Sühne, Urteil, Tod und dem, was dem Tod folgt, befreit hat – jener Mensch wurde durch den schwarzen Paulus verdoppelt, der Christus am Kreuz hängen ließ, ihn immer wieder dahin zurückführte, ihn auferstehen ließ, den Schwerpunkt auf das ewige Leben verlagerte und einen neuen Priestertypus erfand, der noch viel schrecklicher war als die vorhergehenden […].

Gilles Deleuze/Félix Guattari, Kleine Schriften

Oedipus

Theaterfotografie von Albert Greiner sr. & jr. (1875-1905) Der geblendete Ödipus in Sophokles‘ Drama. CC BY-SA 3.0

Ödipus ist zunächst die Idee eines paranoischen Erwachsenen, bevor er ein infantiles neurotisches Gefühl wird.
(G. Deleuze/F. Guattari: Anti-Ödipus. Frankfurt am Main 1974, S. 353)

 

Zitat  —  Veröffentlicht: März 18, 2014 von kynischetonne in Gelesen&zitiert
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Salvador Dali A. Public Domain

Neulich sprach ich mit einem guten Freund über das Phänomen der Träume und wie sie wohl am besten zu deuten wären. Jeder Traum, so kamen wir überein, reizt den Drang zur Interpretation. So bot ich ihm an, seinen Traum gut behütet mit nach Hause zu nehmen und genauer zu betrachten und er gab mir die Erlaubnis, die Analyse hier im Blog anonymisiert zu präsentieren.

Erste Frage bei der Umsetzung war:
wie sollte ich eigentlich vorgehen?
Schematisch oder doch eher rhizomatisch?

Als einer, der keinen blassen Schimmer hat (und da Schimmer ja immer eine Vorform von Glanz sein kann, der ja bekanntlich in großen Dosen blendet) beschloss ich letztere Methode anzuwenden.
Also die Rhizomatik: Kunst der (schlagwortartig-rhythmischen) Verknüpfung heterogener Elemente ohne zentrale Leitlinie.
Grundsätzlich gilt aber, dass der Traum dem Träumer gehört und mit diesem Traum daher sorgsam umzugehen ist.

Kommen wir zum besagten Traum.

Der Träumer kehrt mit seiner Frau in einer Jugendherberge ein. In einem großen Raum, gefüllt mit Stockbetten stellt sich heraus, dass nur noch ein Schlafplatz frei ist. Dieser Schlafplatz ist einer in einem Dreierbett, der aber schon von zwei Männern belegt ist. Der Träumer fragt den in der Mitte liegenden Mann, ob er seinen Schlafplatz für ihn und seine Frau zur Verfügung stellen würde. Freundlich (oder wie der Freund erzählte „schmierig“, und offensichtlich auch einer, der zu unlauteren Absichten neigt) verneint dieser die Frage, so dass der Träumer seiner Frau diesen letzten Schlafplatz anbietet und beschließt selber neben dem Bett auf dem Boden liegend (und das was im Bett vorgeht nicht mehr sehend) zu nächtigen.

Nun findet ein Perspektivwechsel statt.

Die  Frau meines Träumers ist nun nicht mehr anwesend, er selbst nur noch als nichtteilnehmender Beobachter.
Die beiden Männer sitzen an einem weißen Tisch und ein dritter Mann betritt den Raum. Er hat eine Pistole in der Hand. Fast schon beiläufig geht er zum Tisch und schießt beiden in den Kopf.
Blut spritzt auf den weißen Tisch.

Nun ist Umwandlungsarbeit zu leisten, wobei ich nicht vergessen möchte zu erwähnen, dass mir der Träumer einen Tipp mit auf den Weg gab. Er erwiderte mir auf meine Äußerung, einen Traum vielleicht doch wie einen literarischen Text oder einen Film zu rezipieren, dass es angebracht wäre in Betracht zu ziehen, dass vielleicht der Traum es ist, der unseren Wachzustand rezipiert und damit selbst schon eine Art Vorverständnis über unsere Angelegenheiten hat.
Suchen wir also nach den Intensitäten, die sich an bestimmten Stellen zu „Bedeutungen“ verdichten und woran sie anknüpfen oder angeknüpft sind.

Fangen wir an mit der Jugendherberge.
Die Jugendherberge oder „Herberge“ im generellen ist ein Ort der Einkehr, aber keine Heimkehr. Damit aber bleibt sie Sehnsucht nach Heimkehr und Ruhe. Heimkehren bedeutet „bei sich Ankommen“. Dies ist bei der Herberge nicht der Fall, sondern das Gefühl äußert sich in Sehnsucht. Treibt man diese Intensität zu ihrem Kulminationspunkt „Bedeutung“ hin, könnte sie auch auf eine psychische Einsamkeit hinweisen.
In dieser Sehnsucht nach „Ankommen bei sich“ ist der Träumer nun mit seiner Ehefrau unterwegs. Die „Ehefrau“ ist hier aber von der Bedeutung der „Frau“ zu unterscheiden und nur im Kontext ihrer Anknüpfungspunkte zu verstehen. Die „Ehefrau“ weist im Gegensatz zur generellen Intensität der „Frau“ auf Verbundenheit hin. In diesem Fall, einer Verbundenheit des Gegensatzes (die Zahl „2“, Mann/Frau). Die Bedeutung „Frau“ weist im weiten Sinne auf die Empfänglichkeit hin.
Nehmen wir nun mal an, die „Frau“ in diesem Traum ist nun wirklich die Empfänglichkeit, so geht der Träumer nun mit ihr in diese „Herberge“. Dabei zeigt sich dem Träumer ein großer Raum mit vielen Stockbetten. „Großer Raum“ als „Seelenraum“ mit ihren verdichteten Bedeutungsintensitäten der „Betten“. „Bett“ scheint hier auf das „Gebettet sein“ der Seele selbst hinzuweisen oder die Grundlagen des Seelenlebens. Die Betten scheinen sauber zu sein, nur sind sie fast alle belegt. Außer einem Platz, der aber mit zwei Männern geteilt werden müsste.
Hier haben wir nun diese zwei Männer.
Was hier auffällt, ist zum einen die Anzahl der Schlafplätze in diesem einen Bett und die Anzahl der darin liegenden Personen und zum anderen das Geschlecht der Beteiligten: zwei Männer eben.
Die Zahl „2“ weist auf einen Gegensatz hin, der „Mann“ auf den Willen oder überspitzt gesagt „Willen zur Macht“ (zudem ist der „Mann“ als Traumsymbol meistens auf Streit aus oder verweist auf eine Problematik).
Verbindet man die Zahl „2“ mit dem „Mann“ und dem „Bett“, so scheint mir das auf eine grundsätzliche Blockade des Willens hinzuweisen (Zahl „2“ = Gegensatz; „Mann“ = Wille; zwei Männer = Gegensatz im Willen oder innerer Gegensatz des Willens).
Der Träumer redet nun mit einem der Männer (bezeichnenderweise mit dem „Rechten“) und fragt nach den Schlafplätzen. Der erwidert ihm „schmierig“, dass er seinen Platz nicht zur Verfügung stellen wird. Hier taucht nun die „Unwahrhaftigkeit“ auf.
Die „Unwahrhaftigkeit“ oder „Lüge“ verweist auf Verdrängung. Was wird hier verdrängt, die Blockade des Willens?
So passiert es, dass der Träumer (ein Gentleman wie er ist) diesen letzten „Seelenruheplatz“ der Ehefrau überlässt und sich selbst auf den Boden legt. Hier gilt es weitere Bedeutungsintensitäten zu benennen und sie miteinander verknüpfen zu lassen.
Die „Ehefrau“ (Verbundenheit, Empfänglichkeit) bettet sich neben zwei Männern (verdrängte Blockade des Willens), somit ergibt sich eine Vereinigung der „2“ zu einer „3“ oder besser ausgedrückt: es ergibt sich aus dem Gegensatz sozusagen dialektisch etwas Neues.
Das Neue, das in diesem Fall ins Auge sticht, ist die „Frau“ (mit der der Träumer nun leider weniger verbunden ist, daher ist der Schwerpunkt nicht mehr auf „Ehefrau“). Ganz einfach deswegen, weil zwischen Dreien immer die/der Eine in den Vordergrund tritt (warum auch immer, vielleicht weil wir einen Faible für „Einheiten“ haben).
Somit haben wir hier nun den Fall für eine verdrängte Blockade des Willens, die auf Empfänglichkeit verweist.
Verstärkt wird dieser Eindruck auch durch die Positionierung der zwei Männer und der Ehefrau und durch den Perspektivwechsel, der stattfindet, wenn sich der Träumer auf den Boden neben das Bett legt.
Ich gehe davon aus, dass der Träumer zuerst vor diesem Bett stand, als er den Mann nach dem Platz fragte (das heißt, die Männer hatten die Position „links“). Da sich die Ehefrau am Rand des Bettes zum Schlafen gelegt hat, musste sie in diesem Augenblick die Position „rechts“ gehabt haben. Nun ergeben die Traumverdichtungen „links“ und „rechts“ die Bedeutungen Irrational, Unbewusstheit, (vielleicht auch Destruktion, die wiederum auf die Blockade hinweist) und Aktivität, Sachlichkeit, Logik und damit Bestimmtheit.
Bemerkenswert ist nun, dass die 2 Männer die linke Position inne hatten, was die Willensseite durch ihren inneren Gegensatz (oder Blockade) in den Bereich des Verdrängten oder Irrationalen anordnet.
Als der Träumer auf dem Boden liegt, ändert sich ihre Position (vom Träumer gesehen, sofern er auf dem Rücken lag) auf „rechts“ und verschiebt damit den inneren Gegensatz des Willens in den Bereich der Bewusstheit, Sachlichkeit.
Nur vom „Boden“ (Boden der eigenen Existenz, Realität) aus, auf dem der Träumer liegt, ist dieses nicht mehr zu sehen (wieder der Hinweis auf die Verdrängung).
Was im Bett passiert, bleibt im Dunkeln (und ist wahrscheinlich auch nicht weiter wichtig).

Nun passiert ein Wechsel der „Realitätsebene“.

Die Ehefrau ist nicht mehr da. Der Träumer nicht mehr Teilnehmer, sondern nur noch beobachtend distanziert anwesend. Dieser Wechsel könnte auf eine Art von „Sollzustand“ oder „Lösungsansatz“ hinweisen (positiv betrachtet) oder einfach nur auf ein Fließen und Strömen, Anknüpfen und Zerschneiden innerer Seelenintensität in einer Art disjunktiver Synthese.
Was passiert, wenn wir Intensitäten rhizomatisch sehen und nicht einfach nur „repräsentieren“? Wir schauen erst mal zu, was passiert und wo sich was bewegt.
Wir haben die Zweiheit der Männer, die am weißen Tisch sitzen.
Der weiße Tisch enthält zwei Elemente: „weiß“ und „Tisch“. Ersteres ist bekanntlich Symbol für Reinheit oder Läuterung, letzteres das der „Aktivität in der Realität oder Arbeit“.
Nun taucht eine dritte Person auf.
Hier haben wir nun wieder die dialektische Figur „aus 2 wird ein besseres 3.“. Was macht das „bessere 3.“, das in dieser Situation in den Vordergrund des Geschehens tritt? Sie hat eine Pistole in der Hand. Die Pistole steht für eine Spannung, die zugleich ihre eigene Lösung oder Entspannung ist; also Durchsetzungsfähigkeit.
Die beiden werden durch Kopfschüsse ermordet.

Was bedeutet das?

„Kopf“ ist das Symbol für Intellekt. Wenn nun die spannungsgeladene Durchsetzungsfähigkeit das Intellekt erschießt, wie könnte man das im Klima eines blockierten Willens wohl nennen?
Prozess einer Entladung verdrängter überrationalisierter Selbstbezüge, die latent autoaggressive Züge tragen?
Das Blut auf dem weißen Tisch ist wohl anvisiertes Ziel: reine Vitalität und Leidenschaft… und der Wunsch nach Abschluss („Mord“) und entspanntem Neuanfangs („Tod“) und das sozusagen beiläufig…

Es geht um die Auflösung der Blockade des Willens (vielleicht entstanden durch die Überrationalisierung der Lebensvollzüge?). Aber wie will man diese Auflösung mit einem blockierten Willen leisten?
Mit der Abtötung der Überrationalisierung durch die Überlagerung mit dem Schmerz, weil er einem näher ist als Ratio?

Ist das der Schrei nach Voluptas,
nach Heimkehr?

Baargeld„Das produktive Unbewußte räumt das Feld zugunsten eines Unbewußten, das sich nunmehr ausdrücken kann – im Mythos, in derTragödie, im Traum. Aber wer sagt uns, daß der Traum, die Tragödie, der Mythos selbst unter der Berücksichtigung der Umwandlungsarbeit, den Formationen des Unbewußten angemessen sind?“ (G. Deleuze/F. Guattari: Tausend Plateaus. Berlin 1992, S. 69)

Die Neurose wird Modell für alles andere, nur der Schizo will nicht. Er produziert, er repräsentiert nicht, schon gar nicht den Ödipus, den ihm die Psychoanalyse einreden will.

Ort der Produktion ist die Fabrik, Ort der Repräsentation das Theater.

„Der Psychoanalytiker wird Spielleiter eines Privattheaters – statt Ingenieur oder Mechaniker zu sein, der Produktionseinheiten montiert und sich mit kollektiven Produktions- und Anti-Produktionsagenten herumschlägt.“ (ebd. , S. 69f.)

„Am Eingang des Analytikerzimmers steht geschrieben: laß deine Wunschmaschinen draußen vor der Tür … tritt ein und laß dich ödipalisieren. Alles erwächst dem, angefangen bei dem unbeschreibbaren Charakter der Behandlung, ihrem endlosen, zutiefst kontraktuellen Charakter: Redestrom gegen Geldstrom.“ (ebd. S. 70)

 „Man kann diese Art der Politik nicht undemokratisch nennen, da die Sorge der Politiker um ihr Verhältnis zu den Bürgern darin eine so große Rolle spielt. Gleichzeitig kann man dieses System nicht als wahrhaft demokratisch bezeichnen, da sich ein großer Teil der Bürger darin mit der Rolle manipulierter, passiver Teilnehmer begnügen muß, die nur gelegentlich an den Entscheidungen beteiligt werden“ (Crouch 2008: 32-33). 

Zitat  —  Veröffentlicht: März 9, 2014 von weizzenbrot in Gelesen&zitiert
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 „Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, daß Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur noch auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten“ (Crouch 2008: 10).

Zitat  —  Veröffentlicht: März 9, 2014 von weizzenbrot in Gelesen&zitiert
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Man kennt sie leider nur zu gut: die Gruppe jener Menschen, die sich als „Sportler“ bezeichnen und dabei eine derart vegetative Zufriedenheit ausstrahlen, dass man sie unwillkürlich gießen möchte. Sie wirken grenzdebil und gleichzeitig hochmodern, richtige Trendsetter also. Zwei Typen möchte ich hier vorstellen:

Der erste Typ ist der marktförmige Selbstoptimierer. Sein Motto: Ich bin stark, dynamisch und leistungsfähig – nicht nur im Berufsleben, sondern auch privat – Working time is lifetime – 16 Stunden Arbeit und dann noch 3 Stunden ins Fitness – that’s it! Mein Steuerberater ist mein bester Freund – wir gehen auch zusammen Joggen! Ich bin verlässlich, solide und verantwortungsvoll, mein Marktwert macht nicht nur meinen Arbeitgeber geil. Sportschau und Tatort, Tagesschau auch gerne – schließlich will man ja nicht verdummen. Und Sonntags einen Film mit Vin Diesel oder Veronica Ferres.

Das Grenzdebile ist hier domestiziert und nützlich – „Fabrikware der Natur“ – ausgestattet mit einer Aura der vegetativen Zufriedenheit, der gepflegten Langeweile und des unbewussten Stumpfsinns – mit der Lifestylberatung direkt vom Volkswirt. Sport bedeutet hier nicht viel mehr als intelligentes „Unzufriedenheitsmangement“. So wird verhindert, dass sich unproduktive Gefühle oder Gedanken breit machen. Selbsterkenntnis wäre genauso störend wie die Lücke im Lebenslauf.

Diese Form des Grenzdebilen fordert nicht viel vom Leben und wird auch selten enttäuscht. Es sei denn, die Kontingenzen des Marktes schlagen zu, aber dann „ist es halt so, der Markt wollte es, man kann sein Schicksal nicht zwingen…usw.“. Die progressiven Konservativen, vom System erfunden, um Stabilität zu garantieren.

Der zweite Typus ist dem ersten scheinbar entgegengesetzt. Es sind die „nicht-zu-viel-Menschen“ – die, die ihre Ethik der goldenen Mitte unter dem Kissen versteckt haben, um besser zu schlafen. Sie nehmen sich gerne mal ein paar Minuten, um über das Schwere in der Welt nachzudenken. Dabei machen sie ein Gesicht, als hätten sie es soeben geschluckt – ein unangenehmes Schauspiel. Alles ist verkrampft, gedrückt, peinlich – und eigentlich nur ein Vorspiel, ein Aufwärmen, um endlich über das Alltägliche palavern zu können. Denken, das wissen sie, ist ein Laster, dem man sich nicht hingeben sollte. „Man kann ja alles irgendwie begründen“ lautet ihr Credo. Und wenn man alles irgendwie begründen kann, dann kann man genauso gut nichts begründen. Warum sollte man sich also auf den Weg machen? „Alles vergeblich“ sagen sie sich und schauen mitleidig auf den, der es versucht.

Dementsprechend sind sie kapitalismuskritisch – aber nicht zu sehr – irgendwo muss man ja auf seine Kosten kommen. Sie retten die Welt mit Bio-Obst und Ökostrom – mehr kann man auch nicht verlangen. Sie sind politisch ohne das Politische ernst zu nehmen. Sie urteilen „objektiv“, indem sie alle Subjekte – sich eingeschlossen – aus der Gleichung nehmen. Damit bleibt das Urteil allgemein, unverbindlich und nichtssagend. Ihre Bildung besteht aus intellektuellen Sprachspielen, die sie erstaunlich gut beherrschen – möchte jemand aber ernsthaft spielen, ist es ein Anschlag auf den guten Geschmack.

Es sind die Menschen der kontrollierten Halbheit, der kontrollierten und gut verwalteten Langeweile. Sie haben sogar eine Ahnung davon – aber natürlich auch ein Gegenmittel: den exzessiven Sport. Denn um alles halb zu machen, muss man eines wenigstens ganz machen – das ist ihre Weisheit. Unterm Strich bleibt eine vegetative Zufriedenheit, kaum bedroht durch Momente der Selbsterkenntnis. Ruhig und friedlich grasen sie, wie Kühe auf der Wiese, die sich nur ab und an schütteln, um die Fliegen los zu werden.

Beide Typen liegen im Trend, beide unterscheiden sich, gehören aber doch zusammen. Der erste Typ begegnet einem meist direkt und ungeschönt. Er schämt sich seiner nicht – man erlebt das Grenzdebile hier in seiner vollen Pracht. Eben darum kann man mit ihm frei umgehen, d.h. bei Bedarf vermeiden oder aufsuchen.

Der zweite Typ ist ein wahres Schaf im Wolfspelz: Dem Anschein nach frei, unabhängig und interessant – aus der Nähe betrachtet aber nur ein schmatzendes und blökendes Schaf, gerade gut, um sich etwas Wolle herunter zu schneiden.

Glutamat ist böse!

Veröffentlicht: März 3, 2014 von weizzenbrot in Gesellschaft
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Am 1.3. 2014 gab es in Stuttgart scheinbar nur zwei Möglichkeiten, sich politisch in Stellung zu bringen: Entweder gegen den Bildungsplan – dann befand man sich auf dem Schlossplatz – oder für den Bildungsplan – dann ging man auf den Marktplatz.

Eine dritte Möglichkeit wurde von einer kleinen Gruppe getestet: Gegen die Bildungsplangegner aber trotzdem auf dem Schlossplatz (auf derselben Seite der Absperrung)!

Das Ergebnis ist hier zu sehen:

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Wenn Idioten träumen…

Veröffentlicht: Februar 25, 2014 von weizzenbrot in Filmkritik
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und aus irgendwelchen Gründen daraus einen Film machen, dann wird Vin Diesel darin garantiert die Hauptrolle spielen. Er hat sich darauf spezialisiert. Der Zuschauer taucht ein in eine wunderbar reduzierte Welt, in der es genau drei Formen der Interaktion gibt: Angreifen, Anpöbeln und Penetrieren. Man darf dabei die utopische Dimension dieses Gedankenspiels nicht vergessen: Was wäre, wenn die Welt wirklich so einfach wäre? Weltanschauungen und Religionen sind Systeme der Komplexitätsreduktion, Vin Diesel auch!

In Zeiten, in denen eine schlaffe Avantgarde nur noch das Scheitern in einer unübersichtlich gewordenen Welt darstellen kann, schafft Diesel den Gegenpol. Sein Evangelium der Armen fragt wieder nach dem, was der Zuschauer braucht. Mit etwas Pathos könnte man sagen: Er ist der Luther des Films, der seine 955 Thesen eigenhändig und mit einem Schweißbrenner in den Kinoleinwänden verewigt. Salve!